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Adventbrief Dekan Morlock 2005

wahrnehmen, wertschätzen, würdigen

Dekan Morlock (Kirchenbezirk Tuttlingen) setzt sich jedes Jahr am Samstag vor dem Ewigkeitstag an den Schreibtisch und schreibt an alle kirchlichen Mitarbeitenden und an die Verantwortlichen, mit denen er im vergangenen Jahr eng zusammengearbeitet habe.

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Das zurückliegende Kirchenjahr brachte sehr viel Neues, das Kraft kostete, an den Reserven zehrte und erst noch bedacht und verarbeitet sein will.

Für mich war es das Jahr der PE-Gespräche. Nicht nur mengenmäßig (kein Wunder bei über 50 Personalentwicklungsgesprächen), sondern auch vom inhaltlichen Schwerpunkt. Ich habe dabei den Kirchenbezirk, seine Gemeinden und die Mitarbeitenden auf allen Ebenen nochmals ganz neu in den Blick bekommen. Und im Nachhinein bin ich dankbar für dieses "neue" Projekt in unserer Landeskirche, auch wenn es im Dekanatamt schon vorher nicht langweilig wurde ...

Die Zauberworte in der Personalentwicklung beginnen alle mit "W": wahrnehmen, wertschätzen, würdigen – und dafür braucht es außer gutem Willen auf beiden Seiten Freiräume im Terminkalender. Die dafür reservierten 90 Minuten waren stets gut investiert. Und wenn es zukünftig gilt, durch verstärkte Ziele-Orientierung manches Aufgabenfeld zu konzentrieren oder zu delegieren – PE bleibt m.E. die Zeit und Mühe wert. Hier geht es um die wichtigste Ressource unserer Kirche: um motivierte Mitarbeitende!

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Und dann kommt zu all’ dem Laufenden und Neuen - und so empfinden es immer mehr von uns! - auch noch das Highlight der bevorstehenden Advents- und Weihnachtszeit hinzu. In Gemeinde und Familie steht dieses letzte, wichtigste "W" im Jahr oft nicht mehr für winterlich-heimeliges Wohlbefinden, sondern für besonders kräftezehrende Weihnachtseinkäufe verbunden mit vermehrtem Wochenendstress.

In dem mir in den vergangenen Jahren liebgewordenen Kalender "Der andere Advent" habe ich ein eindrucksvolles Beispiel für die Infragestellung des oftmals zu Gewohnten und Vertrauten gefunden:

Kennen Sie das berühmte Stück von John Cage "4’33"? Es wurde am 19. August 1952 in Harvard uraufgeführt und schockierte die Musikwelt. "4’33" ist ein Stück in drei Sätzen mit je einem Pausenzeichen in den Noten – eines der radikalsten Meisterwerke der Moderne, denn 273 Sekunden lang hört man nichts. Hier wird ausschließlich die Wirkung der Stille als Kunst verstanden und zugelassen. Enorm praktisch an "4’33" ist, dass es in vielen Varianten aufführbar ist: Man kann es auf der Blockflöte spielen oder auf einer Ukulele - und falls kein Instrument zur Hand ist, kann man auch auf einem Regenschirm improvisieren. Erstmals wurde dieser Klassiker 2004 von einem kompletten Orchester interpretiert - die BBC übertrug das Stück live aus London. Eigens dafür musste der Sender seine Technik ausbremsen, die normalerweise hinter einem so langen Sende-Loch einen Blackout wittert und Alarm auslösen würde ...

Auch Sie und ich können mit John Cage zum Künstler werden. Einfach 4 Minuten und 33 Sekunden nichts sagen. Nichts tun.
Nur sein ...

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und mir für die kommenden Wochen jeden Tag "4’33" Stille, Augenblicke des zur Ruhe Kommens, damit Gott in diesem Advent auch bei uns ankommen möge.

Seien Sie - in großer Dankbarkeit für Ihr Engagement und die gute Zusammenarbeit im vergangenen Kirchenjahr - herzlich gegrüßt!

Ihr
Frank Morlock